Mit dem Motto ’Eure Geschichte ist unsere Geschichte’ bietet das Jakob Bleyer Heimatmuseum, als ein lebendiges Museum neben seinen Ausstellungen lokale und landesweite ungarndeutsche Projekte an.
BeratungWelche Umstände prägten das Leben der ungarndeutschen Frauen vor 1944? Welche Schwierigkeiten, Hindernisse mussten sie nach 1944 beseitigen? Die Ausstellung möchte diese Fragen am Beispiel einzelner ungarndeutscher Frauenschicksale beantworten.
Vor 1944 sprechen wir im Falle der ungarndeutschen Frauen über das klassische Familienmodell (Hausfrau, Mutter), wo alle Facetten ihres Lebens von der Arbeit, ungarndeutschen Traditionen und der Religion geprägt waren. Die Ungarndeutschen gehörten überwiegend zur katholischen Konfession und für die jungen Frauen stand es außer Frage, dass sie einen Ehepartner gleichen Glaubens finden mussten. Hochzeiten fanden deutlich früher statt als heute, die Mädchen heirateten oft schon mit 15-16 Jahren. Die Kirche spielte auch nach der Hochzeit eine tragende Rolle, von der Taufe an und ähnliche religiöse Feste begleiteten die Entwicklung der Kinder auch in den evangelischen Gemeinden. Die mit Ungarndeutschen bewohnten Gebiete waren vor allem von der Landwirtschaft geprägt. Die Beziehung zwischen Eltern und Kinder ordnete sich daher auch nach wirtschaftlichen Notwendigkeiten: die Mutter blieb in den ersten Wochen bei ihrem Baby, die Betreuung der Kinder übernahmen jedoch später die Großeltern, Geschwister. Die Eltern, auch die Mutter, verbrachten den ganzen Tag mit Arbeit: sie arbeiteten auf ihren Feldern, kümmerten sich um Vieh oder waren in ihrem Laden, in ihrer Werkstatt. Die Welt blieb für die Mehrheit der ungarndeutschen Frauen bis 1944 überschaubar, alles lief in geregelten Bahnen. Von dieser Welt, von ihrem Leben vor 1944 erzählen die Fotos.
Mit dem Herbst 1944 endete grundsätzlich das bisherige Leben der ungarndeutschen Frauen. Ihre Familien wurden voneinander getrennt, die Ehemänner als Kriegsgefangene verschleppt oder interniert, die Eltern, Großeltern enteignet und vertrieben. Diese waren Erlebnisse, auf die niemand vorbereitet gewesen war. Die Frauen haben jedoch diese schwierige Situation, die auftauchenden Probleme und Aufgaben gut gemeistert. Ihr Alltag war doppelt belastet (Arbeit, Kindererziehung) und da ihre Ehemänner, Väter, Söhne entweder als Kriegsgefangene oder als Internierte nicht zu Hause waren, mussten die Frauen die Aufgaben der Männer übernehmen. Zwischen 1944 und 1953 wurde damit die Rolle der ungarndeutschen Frauen auch als Familienoberhaupt immer wichtiger.
Das einst überschaubare, gut geregelte Leben der ungarndeutschen Familien veränderte sich enorm nach 1944. Zwischen Dezember 1944 und Februar 1945 wurden mehr als 40.000 ungarndeutsche Zivilpersonen, darunter viele Frauen in die Sowjetunion, vor allem in die sog. GUPFI-Lager zu „malenkij robot”, zur Zwangsarbeit verschleppt und 2.800 ungarndeutsche Kriegsgefangene deportiert. In diesen Monaten wurden Frauen auch Opfer vieler Gewalttätigkeiten. Es ist ein intimes Thema, die Opfer hatten im Jahre 1945 nur begrenzte Möglichkeiten, konnten darüber nicht reden, es fehlten die Beweise (Fotos, Dokumente) und die Wahrheit, ihre Erfahrung standen im Gegensatz zur sozialistischen Propaganda. Ungarn entschied sich im Dezember 1945 für die Kollektivbestrafung und es wurden zwischen 1946-1948 ungefähr 220.000 Ungarndeutsche vertrieben. Mit der Vertreibung löste sich die alte deutsche Dorfgemeinschaft auf, es wurden Mischehen geschlossen und die Trachtenkleider verschwanden auch langsam. Nach 1953 veränderte sich der Alltag der ungarndeutschen Frauen, die sprachliche und kulturelle Assimilation beschleunigte sich, ihre typischen Trachten gehörten nun zum Bestandteil der Erinnerungskultur. Das klassische Familienmodell der Ungarndeutschen verschwand im Sozialismus und das Schicksal der Frauen galt bis zur Wende als Tabu. (Verschleppung 1944, Gewalttaten 1945, Vertreibung 1946-1948). Erst ab 1987 durften die Ungarndeutschen über ihre Diskriminierung offen und ehrlich sprechen, meistens aus der Sicht der verschleppten, internierten Männer, aus der Sicht der Überlebenden und Helden. Die Frauen waren jedoch nach 1944 ebenfalls Helden, sie kämpften in den schwierigsten Situationen um das Überleben ihrer Familien, was die folgenden drei Geschichten beweisen.
Der junge Mann in der ersten Geschichte konnte im Jahre 1954 mit der Hauptperson unserer zweiten Geschichte, mit dem ungarndeutschen Mädchen Magdolna Rohr aus Badeseck aus sowjetischen Arbeitslagern nach Ungarn zurückkommen: auf der im Archiv gefundenen Liste der 2229 heimgekehrten Kriegsgefangenen findet man den Namen Josef Treier unter Nummer 2063., den Namen Magdolna Rohr unter Nummer 1613. Aufgrund des berüchtigten, streng geheim gehaltenen Befehls des sowjetischen Militärs vom 22. Dezember 1944 wurden unschuldige Zivilpersonen, darunter viele ungarndeutsche Mädchen, Frauen wegen ihrer deutschen Abstammung in sowjetische Arbeitslager, zu „malenkij robot” verschleppt. Sie wurden als Internierte oder als Kriegsgefangene in die Sowjetunion transportiert und die Überlebenden kehrten auf gleicher Weise zurück. Magdolna Rohr wurde im Jahre 1928 in Badeseck geboren und zog mit ihren ungarndeutschen Eltern, die als Bauern tätig waren, in den 1930ern nach Budapest. Magdolna war erst 16 Jahre alt, als im September 1945 ein sowjetischer Soldat, zusammen mit einem Dolmetscher sie in ihrer Wohnung aufgesucht haben, um mit ihr zu reden. Später wurde sie in ein Militärfahrzeug eingesperrt und wegen ihrer Beziehung zu einem Studenten der Technischen Universität verhört, den man an der Westgrenze festgenommen hatte. Nach dem Verhör musste Magdolna Rohr in einen Lastwagen einsteigen und an ihrem 17. Geburtstag (im Februar) war sie schon auf dem „malenkij robot” Zug. Nach mehreren Monaten, im September 1946 erreichte sie den Bajkál-See in Sibirien und befand sich in einem der größten Konzentrationslager der Sowjetunion, in Tajset. In diesem Lager, geleitet von Verurteilten, arbeitete sie täglich 12 Stunden, nach ihren Worten „begann sie die Arbeit im Dunkeln und beendete sie auch im Dunkeln”. Magdolna Rohr haben die Sowjets im Jahre 1945 als 16-Jährige verschleppt. Sie konnte erst im November 1953, mit 24 Jahren nach Ungarn zurückkehren. „Diese Jahre gibt mir keiner mehr zurück”, sagte sie. Magdolna war Opfer der Verschleppung.
In der dritten Geschichte geht es um den Erlebnisbericht eines ehemaligen Flüchtlingskindes, heute schon einer Frau, die in einer Familie mit drei Geschwistern ohne Vater in Deutschland aufwachsen musste. 14 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, nach Flucht und Vertreibung, die auch ihre Familie betroffen hatte, hörte sie den Satz „Wenn es die Nivea-Creme nicht gegeben hätte, wer weiß wie sie heute aussehen würde?” Die Frau, über welche damals gesprochen wurde, war geschlagen, misshandelt und wochenlang in einen Keller gesperrt worden. Sie lebte in völliger Dunkelheit und fand beim Abtasten ihrer Umgebung eine Dose Nivea-Creme, die tat sie auf ihre schmerzenden Wunden, immer wieder. Die Wunden heilten, nur der innere Schmerz über das Erlebte, die Folgen der Gewalttaten blieben. Die Vertreibung aus der Heimat folgte noch. Die Opfer der Gewalttaten, wie diese Frau, wurden 1945 von der Gesellschaft moralisch nicht verstanden, es war ein Tabu, darüber zu reden. Die politischen Instrumente, die Beweise, die sprachlichen Hilfen („Wem und wie soll ich darüber erzählen?”) fehlten damals auch. Deshalb sind die Historia Domus-Schriften von großer Bedeutung, viele Opfer, unerwünscht schwangere Frauen konnten damals nur die Kirche um Hilfe bitten.
Das Erlebte nach 1944 – die Verschleppung, die Vertreibung und die Gewalttaten – hat insbesondere für die Frauen eine zusätzliche Belastung bedeutet. Das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg und an die Jahre danach konzentrieren sich vor allem auf die Männer, die Denkmäler berichten überwiegend von Helden, es ist fast ausschließlich männliches Gedenken. Die ungarndeutschen Frauen waren jedoch nach 1944 auch Helden.